Die klassischen Beurteilungsfehler, was sie für die Personalauswahl bedeuten und was man dagegen tun kann.
Egal ob im Freundeskreis, dem Geschäftsessen oder einer spontanen Begegnung auf der Straße: überall treffen wir auf Menschen, die uns ihre Persönlichkeit, Eigenschaften, Kenntnisse und Fähigkeiten präsentieren, oft schon in den ersten Minuten der Interaktion. Basierend darauf bilden wir uns eine Meinung über diese Person und kategorisieren sie in mentale Schemata. Dass diese Urteilsbildung subjektiv ist und abhängig von unseren Meinungen und Wertvorstellungen ist, erscheint für den privaten Raum, etwa der Auswahl des Freundeskreises, sinnvoll. Zudem werden über die Schemata auch kognitive Ressourcen gespart, und Entscheidungen dadurch vereinfacht.
Was sind Beurteilungsfehler?
Diese Verzerrungen finden sich alle unter dem Begriff “unconscious bias” (unbewusste Voreingenommenheit) wieder und haben über die Jahre immer mehr Aufmerksamkeit erregt, besonders in der Personalauswahl und im Kontext der Chancengleichheit. Was geschieht, wenn Beobachtende, Prüfende oder Vorgesetzte ihre Urteile über Kandidat*innen primär auf der Basis ihrer subjektiven Meinung bilden? Auch in der Personalauswahl müssen Beobachtende Bewertungen für mehrere Bewerber*innen abgeben. Diese sollten optimalerweise die tatsächlichen Kompetenzen der Kandidat*innen abbilden und einschätzen, ob ein erfolgreiches Arbeitsverhältnis in der Zukunft (weiterhin) möglich ist. Wie man sich vorstellen kann, möchten die wenigsten, dass eine Absage nur darauf zurückzuführen ist, dass man beispielsweise als letzte*r interviewt wurde, oder dass einer Person aufgrund der Haarfarbe bestimmte Attribute zugeteilt wurden und dabei die tatsächlichen Fähigkeiten und Potentiale in den Hintergrund geraten sind.
Wir stellen euch im Folgenden einige der klassischen Beurteilungsfehler – auch Bias genannt – vor, die unter anderem bei der Personalauswahl auftreten.
Bias 1: Der Reihenfolgeeffekt
Eine bekannte Verzerrung ist auf die Erinnerungsfähigkeit der Beobachter*innen zurückzuführen. Eine lückenlose Erinnerung besitzen die wenigsten Menschen. Dies ist aber bei Assessments auch nicht nötig. Eine gründliche Protokollierung während des Assessments ist ausreichend, um den sogenannten “Primacy-Effekt” und “Recency-Effekt” auszublenden. Diese Effekte sind Beobachtungsfehler und beschreiben ein verzerrtes Urteil des Verhaltens aufgrund der Reihenfolge, in der dieses auftritt. Gemeint sind beispielsweise der erste oder letzte Eindruck, etwa die Begrüßung oder Verabschiedung oder die erste bzw. letzte Aufgabenlösung der Kandidat*innen. Diesem Verhalten wird oftmals unbewusst ein höherer Stellenwert in der Gesamtbeobachtung zugeschrieben, als dem restlichen Verhalten, sodass es zu einer verzerrten und stark subjektiven Beurteilung der Qualifikation kommt. Der Primacy-Effekt und der Recency-Effekt treten auch häufig unter Kandidat*innen auf, sodass die ersten und die letzten Teilnehmer*innen eines Assessment-Centers extremere Gesamtbewertungen erhalten, als die restlichen Kandidat*innnen
Um diesen Bias zu vermeiden ist es wichtig, beispielsweise mehrere Kandidat*innen-konstellationen und unterschiedliche Übungen zur Bewertung einer Kompetenz aufzustellen, um die Beobachtung frei von Reihenfolgeeffekten durchführen zu können.
Bias 2: Der Halo-Effekt
Des Weiteren beschreibt der sogenannte “Halo-Effekt” (benannt nach Thorndike, 1920) einen Urteilsfehler, bei welchem bestimmte Eigenschaften aufgrund von dargebotenem Verhalten vorausgesetzt werden. Der “Halo-Effekt” beschreibt die Beurteilungsfehler, bei dem die Gesamtleistung einer Person aufgrund von einzelnen dargebotenen oder bekannten Merkmalen beurteilt wird. Der Effekt ist darauf zurückzuführen, dass Menschen nicht immer in der Lage sind, Eigenschaften unabhängig voneinander zu bewerten. So werden einzelnen, konkreten Eigenschaften allgemeine und fassbare Merkmale attribuiert, um einer kognitiven Dissonanz, d.h. einem internen mentalen Widerspruch, vorzubeugen.
Diese Verzerrungen führen in Assessments dazu, dass Kandidat*innen nicht korrekt eingeschätzt werden, da ihnen Eigenschaften, Kenntnisse oder Fähigkeiten zugeschrieben werden, die nicht explizit aufgekommen, hinterfragt oder geprüft wurden – sie werden einfach angenommen. Dabei kommt es vor, dass besonders positive Eigenschaften mehr gewichtet werden und dadurch andere weniger positive Eigenschaften überlagern. Zum Beispiel können sich Zeugnisse einer bestimmten Schule positiv oder negativ auf die Beurteilung der Kandidat*innen auswirken. Einer gut angesehenen Schule werden intelligente und freundliche Absolventen zugeschrieben und dementsprechend werden die Antworten oder Lösungen der Kandidat*innen wahrgenommen.
Bias 3: Projektionsfehler
Beurteilungen und Bewertungen sind subjektiv, da sie die Meinung und Einschätzung von Beobachter*innen widerspiegeln sollen. Problematisch könnte es jedoch werden, wenn Beobachtende ihre eigene Persönlichkeit oder Werte in das Messinstrument einfließen lassen. Genauer beschreibt dieses Phänomen der “Projektionsfehler” oder “Projektions-Effekt”. Die Beobachter*innen haben beispielsweise höhere Leistungsansprüche an Kandidat*innen, wenn sie selbst in einer Eigenschaft besonders gut sind. Gleichermaßen werden wiederum Kandidat*innen, die den Beobachter*innen ähneln, besser von diesen bewertet, da die Eigenschaften in den Kandidat*innen wiedererkannt und wertgeschätzt werden.
Bias 4: Sympathie & Antipathie
Auch Sympathie und Antipathie beeinflussen die Beurteilung des Kandidat*innen. Der Prozess wird automatisch von Eindrücken verzerrt, da sympathisch erscheinenden Kandidat*innen oftmals positive Eigenschaften zugeschrieben werden. Unerwünschte Leistungen werden dann als “Ausrutscher” betrachtet und haben keinen größeren Einfluss auf die Gesamtbewertung. Ebenso werden Kandidat*innen, die unsympathisch wirken, negative Merkmale zugeordnet, sodass diese auch in der Bewertung strenger gewichtet werden. Sympathie (bzw. Antipathie) entsteht meist unbewusst durch beispielsweise Ähnlichkeiten zwischen den Kandidat*innen und den Beobachter*innen. So erscheinen Kandidat*innen, die ähnliche Interessen, Fähigkeiten oder Persönlichkeitsmerkmale mit den Beobachter*innen haben, automatisch sympathischer (sogenannter “similar-to-me-Effekt”).
In einem Assessment ist dies besonders kritisch, da ein Rückkopplungseffekt auftreten kann, bei welchem die Kandidat*innen direkt oder indirekt die Sympathie (bzw. Antipathie) der Beobachter*innen spüren, und dementsprechend ihr Verhalten anpassen. Dies führt im Endeffekt zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung und damit zu einer verzerrten Gesamtbeurteilung. Beobachtende sind sich oftmals nicht bewusst, dass ihre Sympathie oder Antipathie gegenüber den Kandidat*innen gerade den Prozess beeinflusst Nichtsdestotrotz kann eine objektivere Gesamtbewertung durch Einzelbewertungen mehrerer Beobachter*innen oder eine systematische Protokollierung gegeben sein.
Wie kann man diese Beurteilungsfehler minimieren?
Ganz klar ist, dass kein Mensch eine 100-prozentig fehlerfreie Beurteilung in einem Assessment fällen kann. Um aber die Beurteilungsfehler und somit die Fehlerquoten in der Personalauswahl deutlich zu minimieren, kann uns die Digitalisierung helfen. Dies ist eines der Ziele von Applysia: Assessments fairer, valider und effizienter zu gestalten. Wenn ihr mehr über die Vorteile von digitalen Assessments erfahren möchtet, kontaktiert uns gerne unter info@applysia.de.
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Weiter geht es hier mit Teil 2 und Teil 3 unserer Blogreihe zum Thema “Bias in der Personalauswahl”.