Würdest du ein fehlerbehaftetes Auto fahren, wenn du die Möglichkeit hättest, ein deutlich funktionsfähigeres zu fahren? Genau dieselbe Antwort solltest du auf deinen Assessment-Prozess geben. Wissentlich oder nicht sind Assessments fehlerbehaftet, was eine verzerrte Urteilsbildung über die Kandidierenden zu Folge haben kann. Viele dieser Verzerrungen sind tatsächlich ganz einfach vermeidbar. Die Lösung liegt, wie so vieles heutzutage, in der Digitalisierung.
Im ersten Part dieser dreiteiligen Blogreihe haben wir euch bereits einige allgemeine Biases vorgestellt, die sowohl im privaten als auch im beruflichen Feld auftreten können. Wir konzentrieren uns nun vertieft auf Verzerrungen, die spezifisch in Assessment-Prozessen auftreten können, wie beispielsweise den Strenge- und Milde-Effekt oder die sogenannte Tendenz zur Mitte. Um euch zu veranschaulichen, wie man Assessments ganz einfach verbessern könnte, um einen fairen und effektiven Prozess bieten zu können, gibt es hier eine kurze Zusammenfassung weiterer Verzerrungen.
Tendenzfehler
Verzerrungen in bestimmte Richtungen
Neben den bereits im vorherigen Blogartikel erläuterten interpersonellen Verzerrungen (Projektionsfehler, Sympathie/Antipathie), lassen sich auch sogenannte Tendenzfehler feststellen: der erste Fehler trägt den Namen “Strenge-/Milde-Effekt”. Der Strenge-Effekt beschreibt, wie der Name schon anzeigt, eine Tendenz zur strengeren Bewertung der Kandidierenden, in Proportion zur tatsächlichen Leistung. Beobachtende tendieren dazu, Bewertungen in negativer Richtung anzugeben, wohingegen sie die Kandidierenden beim Milde-Effekt eher positiv bewerten (Johns und Saks 2014). Erwähnenswert hierbei ist, dass der Fehler nicht immer auf die Wahrnehmung der Beobachtenden zurückzuführen ist. Bisani et al. (1980) zufolge werden Kandidierende durchweg positiv bewertet, wenn die Beobachtenden z.B. besonders gefühlsorientiert sind und die Kandidierenden nicht verletzten möchte.
Verzerrungen zum mittleren Bereich
Diesen beiden extremen Bewertungen gegenüber steht die “Tendenz zur Mitte”. Der selbsterklärende Name lässt sich als Bevorzugung der mittleren Werte auf einer Bewertungsskala definieren. Beobachtende neigen dazu, nicht in Extreme zu gehen, sodass sowohl starke als auch schwächere Kandidierende hier mit “durchschnittlich” bewertet werden. Dieses Problem sollte besonders in Assessments vermieden werden, da das wahre Potential der Kandidierenden fehlinterpretiert und nicht ausgeschöpft werden könnte. Empfehlenswert sind sowohl Coachings für Beobachtende als auch nachträgliche Rückfragen zur Bewertung, wie beispielsweise “Welche Eigenschaft ist am besten ausgeprägt?” (Curth und Lang 1991).
Logische Fehler
Verzerrungen aufgrund von Stereotypen
Eine weitere Verzerrung tritt auf, wenn Beobachtende Tendenzen entwickeln, die Bewerbende in einem stereotypen Bild dastehen lassen. Besonders bekannt sind hier logische Fehler, wie zum Beispiel “Brillenträger sind schlau” oder eine Bewertung nach dem Prinzip der sozialen Erwünschtheit, bei welchem sich Beobachtende stark an den Bewertungen der Gruppe orientieren. Dem entgegenwirken können anonymisierte Beurteilungsverfahren, bei denen Beobachtende die Möglichkeit haben, ihre Entscheidungsfindung nachwirkend kritisch zu reflektieren. Bei Applysia hilft die anonymisierte Beurteilungsfunktion der Beobachtenden diesen Bias zu reduzieren und bietet ausschließlich den Moderierenden einen Einblick in alle Beurteilungen.
Was geschieht nach der Beurteilung?
Ein genauso wichtiger Aspekt in der Personalauswahl ist die Datenauswertung nach der Datenerfassung. Hier kommt es ganz darauf an, wie Daten kombiniert und gewichtet werden, um am Ende die passendsten Kandidierenden auszuwählen. Da es auch in diesem Bereich sehr interessante Ergebnisse gibt, haben wir für unseren letzten Teil dieser Blogreihe ein Interview mit Marvin Neumann, Arbeit- und Organisationspsychologe und Experte für Psychometrie und Statistik der Universität Groningen vorbereitet.
In Assessments ist nicht nur besonders darauf zu achten, wie Kandidierende wahrgenommen werden, sondern auch wie die Daten bewertet werden. Für eine aussagekräftige Datenanalyse ist eine gründliche Protokollierung vorauszusetzen. Nur dann können Potentiale richtig erkannt und weiterentwickelt werden. Wenn ihr mehr über Potenzialerkennung und Datenverarbeitung in digitalen Assessments wissen möchtet, kontaktiert uns gerne unter info@applysia.de.
Quellen:
Bisani, F.; Eisenmann, P.; Hinrichs, E. (1980): Personalbeurteilung. Theoretische Grundlagen und empirische Ergebnisse.
Curth, Michael A.; Lang, Brigitte (1991): Management der Personalbeurteilung. 2. Aufl. München: Oldenbourg.
Diagnostik- und Testkuratorium (2018): Personalauswahl kompetent gestalten. Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.
Johns, Gary; Saks, Alan M. (2014): Organizational behaviour. Understanding and managing life at work. 9. ed. Toronto: Pearson.
Kanning, Uwe Peter (2015): Personalauswahl zwischen Anspruch und Wirklichkeit. Eine wirtschaftspsychologische Analyse. Berlin: Springer.