Mara Santidrián Korff

21 Juni 2022

Die häufigsten Fehler bei der Beobachtung und Beurteilung von Kandidat*innen

Beobachten und Beurteilen: was kann man da schon groß falsch machen?

Für die Personalauswahl müssen Beobachter*innen eignungsrelevante Informationen objektiv aufnehmen und beurteilen. Das ist jedoch schwieriger als gedacht, da unser Gehirn gerne verschiedene Strategien anwendet, um unsere Umwelt – und in diesem Fall unsere Gegenüber – einfacher kategorisieren zu können. Im Alltag sind diese Strategien dringend notwendig, um Reize gut einordnen zu können – in der Beobachtung und Beurteilung im Rahmen der Personalauswahl stellen sie jedoch Fehlerquellen dar. Wir zeigen Dir hier, welche Fehlerquellen es gibt und wie Du sie minimieren kannst.

Inhalt

Wenn man sich den Beobachtungs- und Beurteilungsprozess von Anfang bis Ende anguckt, wird deutlich, dass viel Raum für mögliche Fehlerquellen besteht – von der Planung bis zur Beurteilung und Entscheidungsfindung.

Fehler in der Planung

Bereits vor der eigentlichen Verhaltensbeobachtung können Fehler bei der Planung des Beobachtungssystems (z.B.: Assessment-Center) eine gültige Eignungsbeurteilung behindern. Beispielsweise:

  • Inhaltlich zu ähnliche Eignungsmerkmale (z.B. Offenheit und Kontaktfreudigkeit) führen dazu, dass Beobachter*innen die Verhaltensindikatoren nicht eindeutig zuordnen. Achte daher darauf, dass die Merkmale trennscharf sind (d.h. sie sich voneinander unterscheiden).
  • Bei nicht vorhandener Operationalisierung von Eignungsmerkmalen (z.B. Konfliktfähigkeit) fehlt Beobachter*innen ein Bezugsrahmen, an dem sie sich orientieren können. Das führt dazu, dass sie Verhaltensindikatoren selbst definieren und sie unterschiedlich beobachten. So kann beispielsweise in einer Rollensimulation Beobachter*in A ein zuhörendes und aufmerksames Verhalten als konfliktfähig betrachten und beurteilen und Beobachter*in B darin nur ein passives Verhalten sehen. Dementsprechend würden die Beurteilungen unterschiedlich ausfallen. Stelle daher sicher, dass Du alle Merkmale mittels Verhaltensankern operationalisierst. Dafür müssen alle Beobachter*innen Verhaltensbeispiele, die für ein konkretes Verhalten sprechen, kennen und anwenden.

Außerdem kann eine nicht optimal eingerichtete Umgebung die Qualität der Beobachtung verringern. Zusammengefasst solltest Du auf Folgendes achten:

  • Guter Blickwinkel und optimale Lichtverhältnisse, um die Kandidat*innen in Gänze beobachten zu können
  • Keine Unterbrechungen durch Dritte oder äußere Einflüsse
  • Einwandfreie technische Funktionalität (z.B.: Video und Tonaufzeichnungen) für eine reguläre Auswertung

Fehler in der Situation

Hier sind die Verfahren gemeint, die Du zur Verhaltensbeobachtung ausgewählt hast. Sind diese mangelhaft oder hast Du sie nicht richtig gewählt, kannst Du die relevanten Eignungsmerkmale nicht beobachten.

  • Zu wenige Beobachtungsgelegenheiten für die Eignungsmerkmale und/oder
  • Unkontrollierte Verfahrensabläufe

erschweren die Beobachtung und verringern die Vergleichbarkeit zwischen den Kandidat*innen. Um das zu verhindern, solltest Du darauf achten, dass Du genügend Verfahren anwendest, um ein Merkmal zu beobachten. Du kannst innerhalb eines Verfahrens (z.B. Rollenspiel) zwischen drei und fünf Merkmale beobachten. Außerdem ist es wichtig, dass du alle kontrollierbaren Gegebenheiten (z.B. Tageszeit, Dauer und Ort der Beobachtung) über die Kandidat*innen hinweg gleich hältst.

Fehler bei den Kandidat*innen

Kandidat*innen können auch Bedingungen ausgesetzt sein, die eine korrekte Beobachtung erschweren. Es ist daher wichtig, dass: 

  • Kandidat*innen über die Situation richtig aufgeklärt werden, damit sie diese richtig interpretieren und ihr wahres Verhalten zeigen können
  • Beobachter*innen über Selbstdarstellungstechniken aufgeklärt werden.
Selbstdarstellungstechniken

Selbstdarstellunsgtechniken (auch Impression Management (IM) genannt) beschreiben Techniken, die Kandidat*innen anwenden, um aktiv Einfluss auf die Wahrnehmung ihres Images zu nehmen. Darunter können beispielsweise nonverbale Taktiken wie Lächeln, eine zugewandte Gestik oder ein wiederholt aktiv-suchender Blickkontakt zählen. Je nach Verfahren variieren die Anzahl und Art der eingesetzten Taktiken. Bei Übungen, die eine Interaktion mit anderen vorsehen, werden vermehrt Taktiken eingesetzt, die gleichzeitig auch als Eignungsmerkmal zählen (z.B.: zugewandtes Verhalten als Indikator für Kooperationsvermögen). Einige Verhaltensweisen sind also gleichzeitig Indikatoren für das Eignungsmerkmal als auch für Selbstdarstellungstaktiken. Wichtig ist, dass genügend Beobachtungsgelegenheiten vorhanden sind, um die relevanten Merkmale auch tatsächlich beobachten und beurteilen zu können. Ansonsten besteht die Gefahr, dass sich Beobachter*innen für ihre Beurteilung im Rahmen des “Halo-Effekts” an wenigen gut beobachtbaren Merkmalen orientieren. Dafür sollten die Verfahren kritisch geprüft werden. Beobachter*innen müssen zudem über Selbstdarstellungstaktiken aufgeklärt und trainiert werden. 

Die bekanntesten Fehler sind die, die direkt auf die Beobachter*innen zurückzuführen sind. Dabei handelt es sich um mentale Verzerrungen, die sowohl den Beobachtungs- als auch den Beurteilungsprozess beeinflussen können. Um einen objektiven und validen Auswahlprozess durchführen zu können, gilt es, diese Verzerrungen zu minimieren.

Fehler bei der Informationsaufnahme

Wahrnehmung ist ein Prozess, durch den wir Informationen aus unserer Umwelt organisieren und interpretieren. Obwohl wir Empfindung und Wahrnehmung als voneinander getrennt ansehen, sind beide in Wirklichkeit Bestandteile eines kontinuierlichen Prozesses. Mögliche Fehler entstehen, wenn…

  • Mehrdeutige Reize entsprechend der eigenen Erfahrungen oder Erwartungen interpretiert werden 
  • Die Tendenz, Urteile möglichst widerspruchsfrei zu bilden (Konsistenzeffekte), auftritt
  • Erwartungseffekte durch Vorinformationen über Bewerber*innen ausgelöst werden und zu einer hypothesengefilterten Wahrnehmung führen
  • Emotionale Beteiligung sowie Sympathie und Antipathie die Wahrnehmung verzerren 

Fehler in der Erinnerung

Fehler in der Erinnerung kommen häufig vor, da Informationen aufgrund unserer Erfahrungen und Erwartungen gefiltert werden. Während einer Eignungsbeobachtung und -beurteilung fallen diese Fehler an, wenn die Protokollierung der Beobachtung zeitlich nachgelagert, gar nicht, oder zu wenig vorgenommen wird. Unter anderem zählen dazu:

  • Primacy- und Recency-Effekt: In einem Assessment werden sowohl Kandidat*innen als auch Beobachter*innen mit einer Reihe von Ereignissen bzw. Informationen konfrontiert. Bei dem Primacy-/Recency-Effekt bleibt vor allem der erste und der letzte bzw. aktuellste Eindruck im Gedächtnis haften. Alles „was dazwischen passiert ist“, tritt dagegen in den Hintergrund. So beurteilen Beobachter*innen beispielsweise die “Sandwich-Kandidat*innen” besser oder schlechter. Auch einzelne Reize, die zuerst oder zuletzt über eine*n Kandidat*in wahrgenommen wurden, können das Gesamtbild verzerren und für einen “besseren oder schlechteren Eindruck” sorgen. 
  • Konsistenz- und Kontrasteffekte: Folgen zwei Fragen aufeinander, neigen Personen dazu zu denken, sie müssten beide Fragen unterschiedlich beantworten. Auf der anderen Seite tendieren Menschen auch dazu, ein einheitliches Bild von sich präsentieren zu wollen. Beobachter*innen könnten ihre Beurteilung auf bestehenden Wissensstrukturen basieren und eine*n Kandidat*in verzerrt beurteilen, um entweder ein einheitliches Bild über die Kandidat*innen aufrechtzuerhalten oder Merkmale möglichst kontrastreich zu beurteilen. 
  • Häufigkeits-Validitäts-Fehler: auch “conventional wisdom bias” genannt, beschreibt die Tendenz, sich an bestimmte Aussagen zu erinnern und als wahr anzusehen, nur weil sie vorher immer wiederholt wurden.

Fehler bei der Beurteilung

Diese Fehlerquellen beziehen sich auf Fehler, die während der Beurteilung auftreten können. Damit Du diese Fehler aktiv umgehen kannst, ist es wichtig, über sie informiert zu sein:

  • Ankereffekt: Beobachter*innen haben Erwartungen und bilden sich ihre Meinungen basierend auf den ersten Eindrücken von Kandidat*innen. Beispielsweise kann ein fester Händedruck bei der Begrüßung einen positiven Eindruck hinterlassen, den die Beobachter*innen im Verlauf der Beobachtung und Beurteilung zu bestätigen sucht. 
  • Halo-Effekt: Macht ein*e Kandidat*in zu Beginn des Gespräches einen sympathischen Eindruck oder stimmt das Aussehen oder Verhalten mit den Erwartungen von Beobachter*innen überein, so werden dem*der Kandidat*in andere positive Merkmale zugeschrieben (wie z.B. Intelligenz oder Ehrlichkeit) – auch wenn diese Merkmale nicht überprüft worden sind. 
  • Tendenz zur sozialen Erwünschtheit: Diese Effekte treten auf, wenn Beobachter*innen ihr Urteil auf dem eines*r anderen als wichtig erachteten Beobachter*in (situational) oder auf allgemeinen Erwartungen (kulturell) basieren.
  • “Observer drift”: Tritt auf, wenn sich die Bewertungsstandards über die Zeit verändern. Dabei können Strenge-/Milde-Effekte auftreten, bei denen Beobachter*innen die Kandidat*innen strenger oder milder beurteilen. Dies kann auch über alle Beobachter*innen hinweg geschehen, sodass eine hohe Beobachter*innenübereinstimmung kein Indikator für eine gute Qualität der Beurteilung ist. 
  • Antworttendenzen: Besonders bei numerischen Skalen (z.B. Zustimmungsskala), kann es dazu kommen, dass Beobachter*innen beispielsweise nur mittlere Werte (Tendenz zur Mitte) oder besonders gute oder schlechte Werte wählen (Strenge-/Milde-Effekt).

Fehler bei der Integration der Einzelbeurteilungen

  • Beobachter*innen können aufgrund von einem wahrgenommenen Konformitätsdruck ihre Meinungen und Beurteilung anpassen. Besonders anfällig sind Beobachter*innen, die wenig Erfahrung haben oder im Vergleich zu anderen anderen Beobachter*innen niedriger positioniert sind.
Bei Applysia können mehrere Beobachter*innen an einer Verhaltensbeobachtung und beurteilung (z.B. im Rahmen eines Assessment Centers) teilnehmen. Damit der oben genannte Konformitätsdruck verhindert wird, geben alle Beobachter*innen ihre Bewertungen einzeln ab. Durch die automatische Konsolidierung, können die Bewertungen zu einer Gesamtbewertungen konsolidiert werden. Auf diese Weise wird vermieden, dass Beobachter*innen ihre Beurteilungen unter einem Druck an die Gruppe anpassen.

Eine unsystematische und oft wechselnde Vorhergehensweise bei der Entscheidungsfindung kann zu fehlerbehafteten Ergebnissen führen.

Trainingstechniken für Beobachter*innen

Um die oben genannten Fehlerquellen bestmöglich zu minimieren, müssen Beobachter*innen nicht nur über die Fehlereinflüsse Bescheid wissen, sondern wissen, wie sie ihnen entgegenwirken können. Das erfordert wiederholtes Training im Rahmen von Bildungs- und Trainingsmaßnahmen. 

Es wird zwischen vier Trainingstechniken unterschieden, die Beobachter*innen anwenden können, um die Fehler bestmöglich zu umgehen. 

  1. Das Beurteilungsfehlertraining: Hier werden die Beobachter für typische Beurteilungsfehler (wie Strenge-/Milde-Effekt, Halo-Effekt, Konsistenz- und Kontrasteffekte, etc.) sensibilisiert. Das beinhaltet die Aufklärung über diese Fehlerquellen, in der Hoffnung, dass sie ein Stück weit reduziert werden.
  2. Das Training zur Verwendung von Beurteilungsdimensionen: Hier lernen Beobachter*innen die relevanten Eignungsmerkmale kennen und trainieren die korrekte Zuordnung von Verhalten auf die Merkmale. Beispielsweise erlernen sie dann, was “Kooperationsfähigkeit” ist und wie es sich im Verhalten widerspiegeln kann. Auf diese Weise kann eine eindeutige Zuordnung von Verhaltensindikatoren auf die entsprechenden Merkmale erfolgen.
  3. Das Verhaltensbeobachtungstraining: Der Schwerpunkt dieses Trainings liegt in der Trennung zwischen Beobachtung und Beurteilung. Die Beobachtung beinhaltet die Identifikation, Wahrnehmung, Abruf und Wiedererkennung von Informationen. Die Bewertung umfasst die Kategorisierung, Integration und Evaluation dieser Beobachtungen.
  4. Das Bezugsrahmentraining: Bei diesem Training liegt der Fokus auf der  Verwendung eines realen Bezugsrahmens, damit alle Beobachter*innen die Beurteilungsdimensionen (Eignungsmerkmale) gleichermaßen beobachten und interpretieren können. Beobachter*innen lernen allgemeine Beurteilungsstandards kennen, die sie dann akzeptieren und anwenden. Beispielsweise können Beobachter*innen trainiert werden zu erkennen, wie ein gutes, durchschnittliches oder verbesserungsfähiges Verhalten für die einzelnen Eignungsmerkmale aussieht. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass ein allgemeiner Bezugsrahmen existiert, an dem sich die Beobachter*innen orientieren können.

Fazit:

Dieser Artikel soll in erster Linie Beobachter*innen helfen, sich ein grobes Bild über mögliche Fehlereinflüsse während der Beobachtung und Beurteilung von Kandidat*innen zu verschaffen. Vorab ist es wichtig, dass Beobachter*innen den Beobachtungs- und Beurteilungsprozess als getrennte Schritte zur Entscheidungsfindung betrachten und angehen. Dabei ist die Beurteilung ein der Beobachtung nachgestellter Schritt. Ebenso ist eine sorgfältige Protokollierung des gesamten Prozesses fundamental. Wenn Du eine Beobachtung nicht protokollierst, kannst Du sie nicht beurteilen. Gleichermaßen kannst Du nichts beurteilen, was Du nicht beobachtet hast. Die Protokollierung stellt demnach einen entscheidenden Schritt für eine objektive und valide Personalentscheidung dar. 

Externe Fehler, die vor oder während einer Beobachtung eintreten können, (z.B. planbare Gegebenheiten, die Beobachtungssituation und/oder die richtige Ein- und Anweisung der Kandidat*innen) sind relativ leicht zu beheben. Fehler, die auf internen Vorgängen, wie Voreinstellungen (z.B. Bias) oder typischen Beurteilungsfehlern beruhen, erfordern daher eine Sensibilisierung und ein intensives Training der Beobachter*innen. Dieses Training sollte unbedingt durchgeführt werden, bevor eine Beobachtung und Beurteilung stattfindet. 

Es ist ganz klar, dass kein Mensch eine 100%ig fehlerfreie Beurteilung bei einer Beurteilung vornehmen kann. Aber die Digitalisierung kann uns helfen, die Fehlerquote deutlich zu minimieren. Applysia hilft Unternehmen, unter anderem dabei, ihr Fehlerrisiko zu reduzieren, indem sie ein cloudbasiertes Softwaresystem bereitstellt, das Beobachtungen und Beurteilungen in der Personalauswahl objektiver, valider und effizienter gestaltet. Wenn Du mehr über Applysia erfahren möchtest, kontaktiere uns hier.

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