Mara Santidrián Korff

25 Januar 2023

“Die allermeisten Personalentscheidungen werden hierzulande im Grunde auf Steinzeitniveau getroffen” 

“Die meisten Personalentscheidungen sind auf Steinzeitniveau”. Mit diesem Titel veröffentlichte die FAZ am 26.11.2022 einen Artikel von Prof. Dr. Charlotte von Bernstorff und ihrer Sicht auf die aktuellen Trends in der Personalauswahl. 

Prof. Dr. von Bernstorff ist Personalpsychologin und auf datenbasierte Eignungsdiagnostik spezialisiert. Sie beschäftigt sich unter anderem mit Fragen wie “Wie gut und gerne machen Menschen ihren Job?” und “Welche Kompetenzen müssen Kandidat*innen mitbringen, um später erfolgreich in einem bestimmten Job sein zu können?” Die systematische Erfassung von Kompetenzen und eine spätere Prognose über den Berufserfolg steht hierbei im Vordergrund. 

Sie sieht drei große Probleme bei der analogen Personalauswahl. Darunter: 

  • Viele Entscheider*innen wählen Kandidat*innen willkürlich und intuitiv aus 
  • Die meisten Entscheidungen werden aus dem Bauchgefühl heraus getroffen
  • Objektive Kriterien werden dabei nicht berücksichtigt bzw. vernachlässigt 

Während Intuition in der Gesellschaft positiv konnotiert ist und durchaus Vorteile im Alltag bringen kann, wirkt sie eher kontraproduktiv in der Personalauswahl. Der Grund dafür? Sogenannte Biases. Also Urteilsverzerrungen, die dazu führen, dass wir andere Menschen falsch einschätzen. Prof. Dr. von Bernstorff bezieht sich beispielsweise auf den Projektionsfehler, insbesondere Sympathie. Folglich werden Kandidat*innen nicht nach ihren Kompetenzen beurteilt, sondern demnach, wie sympathisch sie auf ihren Gegenüber wirken. Das stellt ein entscheidendes Problem für eine effiziente Personalauswahl dar. Besonders bei Führungskräften leiden mehrere Mitarbeiter*innen oder gesamte Unternehmen unter der Fehlbesetzung, die auf fehlende oder falsch eingeschätzte Kompetenzen zurückzuführen sind. Manche Studien zeigen, dass etwa ein Viertel der Personalentscheidungen korrigiert werden müssen. 

Die Folgen einer solchen Fehlbesetzung sind stark von Branche, Position oder Region abhängig und daher schwer zu beziffern. Prof. Dr. von Bernstorff spricht jedoch von etwa ein bis zwei Jahresgehältern für Fachkräfte und zwei bis drei Jahresgehälter für Führungskräfte. Zusätzlich fallen noch Ausbildungs- und Abfindungskosten an, die pro Fehlbesetzung ebenfalls angerechnet werden müssen. Das sind eine ganze Menge Kosten, die im Wesentlichen vermeidbar sind. 

Was kann man gegen eine falsche Personalauswahl tun?

Prof. Dr. von Bernstorff sieht eine potentielle Lösung in künstlicher Intelligenz (KI). Die Idee lautet, dass Technik zur Standardisierung bestehender Prozesse eingesetzt wird, um intuitive und willkürliche Entscheidungen zu minimieren. Bevor KI jedoch ihr volles Potenzial in der Eignungsdiagnostik entfalten kann, müssen bestehende Prozesse optimiert werden. Das ergibt sich aus der Schlussfolgerung, dass wenn bestehende, fehlerhafte Prozesse mithilfe von KI automatisiert werden, sie zwar schneller, jedoch nicht besser werden. KI hat nämlich zwar die Möglichkeit, selbst zu lernen, jedoch nur auf der Grundlage der Trainingsdaten. Wenn diese fehlerbehaftet sind, lernt das System diese Fehler und führt sie systematisch weiter. 

Es ist daher wichtig, die Personalauswahl auf wissenschaftlich fundierten Auswahlmethoden zu basieren. Dazu zählen beispielsweise wissenschaftliche Persönlichkeitsfragebögen oder Intelligenztests. 

Ein weiterer Punkt und eine zentrale Frage der Ingenieurpsychologie ist, inwieweit automatisierte Prozesse, wie bei KI, eben auch nur von Menschen gemacht und dadurch ebenso fehleranfällig sind und welche Auswirkungen das auf die Personalauswahl hat. Trainieren Menschen ein intelligentes System (KI) mit diskriminierenden Daten, wie es in der Vergangenheit schon mal vorgekommen ist, dann wird das Schema genau so übernommen. Diskriminierung wird demnach schlicht weg einfach automatisiert und systematisch weitergeführt. 

Also bietet KI doch keine Lösung?

Heutzutage gilt: die klassischen Auswahlverfahren (Persönlichkeitsfragebögen, Intelligenztests, strukturierte Interviews, etc.) sind die besten Methoden, um späteren Berufserfolg vorhersagen zu können. Neuartige Entwicklungen, wie eine Persönlichkeitseinschätzung auf Basis eines Sprachanalysetools, fehlt es an wissenschaftlichen Befunden, die zu validen Ergebnissen für die Personalauswahl führen. Gleiches gilt für Tools, die die Profile aus sozialen Netzwerken analysieren. Prof. Dr. von Bernstorff warnt: “Davon sollte man die Finger lassen, wenn man valide auswählen will.” Berufserfolg ist etwas wissenschaftlich Erforschtes, weshalb Bauchentscheidungen und derartige Tools große Gefahren für die Personalauswahl bergen.

Ein gültiger Vorschlag für die heutige Personalauswahl 

Aber Prof. Dr. von Bernstorff erkennt: “Vielversprechend sind momentan vor allem solche Systeme, die eher versuchen, alles einfach etwas schlanker zu machen.” Beispielsweise fallen in Assessment Centern viele Seiten Papier an und unglaublich viele Daten müssen beobachtet und beurteilt werden. Prof. Dr. Bernstoff bestätigt: “(…) dann ist es einfach genial eine KI oder eine automatische Funktion zu haben, die das den Menschen abnimmt”. Um die Potentiale der Digitalisierung nun richtig nutzen zu können, müssen zuvor die richtigen Kriterien für den Berufserfolg ausgewählt werden. Es müssen die erforderlichen Bewertungskriterien zusammen mit ihren Sollwerten und den passenden Übungen zur Beobachtung und Beurteilung erkannt und festgelegt werden. Erst wenn diese Parameter von hoher inhaltlicher Relevanz für den Berufserfolg (auch genannt Validität) sind, können digitale Systeme einen Vorteil für die Personalauswahl bieten.

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