Mara Santidrián Korff
•8 Februar 2023
Emotionale Intelligenz im Personalbereich – Ein Muss in jedem Auswahlprozess?
In den letzten Jahren hat die Emotionale Intelligenz (EI) zur Vorhersage von Arbeitsleistung (Job Performance) einen wahren Hype verursacht. EI-Services sind mittlerweile zu einer multimillionen Dollar Industrie geworden, die in vielen (internationalen) Consulting Firmen eingesetzt wird. Sowohl für Personaleinstellungen und Trainings als auch für Führungskräfteentwicklung und Teambuilding-Maßnahmen hat sich die Emotionale Intelligenz zu einer akzeptierten Methode entwickelt.
Der Traum vieler Personaler*innen scheint erfüllt zu sein: Emotionale Intelligenz gilt als einer der besten Prädiktoren für die berufliche Leistung und das sogar noch besser als kognitive Leistungstests und Persönlichkeitsverfahren – und man kann sie mit nur einem einzelnen Instrument erfassen.
Doch ist das wirklich nur ein Traum, der zu schön ist, um wahr zu sein?
Wo liegt das Problem?
Auf die Frage nach einer klaren Definition des Konstruktes EI, kann die Forschung keine eindeutige Antwort liefern. Es existieren unterschiedliche Ideen: ob die Emotionale Intelligenz als tatsächliche Fähigkeit ein Teilbereich der Intelligenz ist (ability EI) oder doch eher ein Oberbegriff, der verschiedene Persönlichkeitseigenschaften, Fähigkeiten und Selbstwahrnehmungen umfasst (mixed EI), ist unklar.
Dass die theoretische Grundlage fehlt, aber der EI gleichzeitig eine so hohe Vorhersagekraft für die berufliche Leistung zugeschrieben wird, scheint ein Widerspruch zu sein, der genauer betrachtet werden sollte.
Was wird untersucht?
Daher untersuchten Joseph et al. (2015) zwei wesentliche Fragestellungen mit einer Meta-Analyse:
- Was erfassen die Messinstrumente der Emotionalen Intelligenz überhaupt?
- Warum hängt die Emotionale Intelligenz mit Job Performance zusammen?
Was erfassen die Messinstrumente der Emotionalen Intelligenz überhaupt?
Die Emotionale Intelligenz – auch mixed EI genannt – setzt sich aus verschiedenen Kernbestandteilen zusammen, bei denen es sich um psychologische Konstrukte handelt, die in der Forschung schon lange bekannt sind. Sie umfassen dabei sowohl Persönlichkeitseigenschaften und Fähigkeiten als auch selbstbezogene Wahrnehmungen.
Das sind die Bestandteile: Gewissenhaftigkeit, Extraversion, emotionale Stabilität, Selbstwirksamkeit, selbstbewertete Leistung, kognitive Leistungsfähigkeit und fähigkeitsbezogene Emotionale Intelligenz (ability EI). Diese psychologischen Konstrukte lassen sich unter dem Begriff der “Knowledge, Skills, Abilities and Other Characteristics (KSAOs)” zusammenfassen.
Warum hängt EI mit Job Performance zusammen?
Die KSAOs, aus denen sich die Emotionale Intelligenz zusammensetzt, hängen mit der Job Performance zusammen. Dadurch gibt es auch den Zusammenhang der EI mit der Job Performance. Die nachfolgende Tabelle zeigt eine Übersicht über die wesentlichen Bestandteile der Emotionalen Intelligenz und wie sich der Zusammenhang mit der Job Performance ausdrückt.
Bestandteile der EI | Zusammenhang mit Job Performance |
Gewissenhaftigkeit | Leistungsstreben, Statusstreben, Zielsetzung |
Extraversion | Erfolg im Management und Verkaufsjobs durch Statusstreben |
Emotionale Stabilität | Gute emotionale Coping Skills, Regulationsfähigkeiten und emotionales Verständnis |
Selbstwirksamkeit | Motivation, Zielsetzung, Jobengagement |
Selbstbewertete Leistung | Befragen, wie man in vergangenen Projekten agiert hat, da vergangenes Verhalten als bester Prädiktor für zukünftiges Verhalten dient |
Kognitive Leistungsfähigkeit | Fähigkeit jobbezogenes Wissen aufzubauen |
Fähigkeitsbezogene Emotionale Intelligenz (ability EI) | Soziale Interaktionen, gesteigertes Verständnis von emotionalen Anforderungen in einer Situation, gesteigerte Aufmerksamkeitsfähigkeiten |
Was sind die wesentlichen Erkenntnisse?
Die Untersuchungen von Joseph et al. (2015) haben ergeben, dass die EI keine zusätzlichen Informationen liefert, die über die Informationen, die die KSAOs ermitteln, hinausgehen. Dass die Emotionale Intelligenz bessere Vorhersagen ermöglicht als kognitive Fähigkeitstests und Persönlichkeitsverfahren, lässt sich damit also nicht bestätigen. Hingegen gilt viel eher, dass die sieben KSAOs zusammen eine bessere Vorhersage ermöglichen und zusätzliche Informationen liefern, die die Emotionale Intelligenz nicht erfassen kann. Die Genauigkeit der KSAOs übersteigt damit die Genauigkeit der Emotionalen Intelligenz zur Vorhersage der Job Performance.
Die Ursprungsfrage, was die EI-Instrumente denn überhaupt erfassen, ist geklärt: nämlich die sieben KSAOs.
Auch die Frage danach, warum Emotionale Intelligenz mit der Job Performance zusammenhängt, ist beantwortet: Da die einzelnen Bestandteile, aus denen sich die Emotionale Intelligenz zusammensetzt, die Job Performance gut vorhersagen können, hängt auch die Emotionale Intelligenz mit der beruflichen Leistung zusammen.
Was bedeutet das für die Praxis?
Der Wunsch vieler Personaler*innen nach einem praktischen und kurzen Personalauswahl-Tool liegt damit gar nicht in so weiter Ferne. Denn die Instrumente zur Erfassung der Emotionalen Intelligenz stellen eine kürzere und praktikable Variante dar, mit der die klassischen langen Testbatterien zur Erfassung der KSAOs umgangen werden können. Dennoch sind die EI-Instrumente weniger genau, häufig teurer und sie bieten keinen zusätzlichen Nutzen, gerade weil oft unklar ist, was genau erfasst wird.
In der Praxis können und sollten sich Personaler*innen also auf die Instrumente fokussieren, die mit guter theoretischer Fundierung praktischen Nutzen stiften, und z.B. die KSAOs spezifisch erfassen.
Digitale Tools wie Applysia können dabei helfen, die richtigen Methoden auszuwählen und in die eigenen Arbeitsabläufe zu integrieren. So wird die Personalauswahl valide, fair und gleichzeitig simpel gestaltet. Mehr über Applysia erfährst Du hier.