Julia Mayer

1 September 2025

Wenn KI im Interview mitredet

Das Problem mit KI in Bewerbungsgesprächen

Künstliche Intelligenz (KI) revolutioniert viele Bereiche unseres Lebens, einschließlich Bewerbungsgespräche. Mit KI-Tools wie ChatGPT können Bewerber*innen ihre Antworten in asynchronen Videointerviews in Sekundenschnelle generieren lassen – und das mit erschreckender Wirkung: KI-Antworten führen zu deutlich besseren Bewertungen im Interview als selbst formulierte Antworten.

Die vorliegende Studie von Canagasuriam und Lukacik (2024) untersucht genau dieses Problem: Die Möglichkeit, dass Bewerber*innen KI (hier ChatGPT) nutzen, um bei asynchronen Videointerviews zu betrügen. Das Hauptproblem hierbei besteht darin, dass durch KI generierte Antworten möglicherweise nicht die tatsächlichen Fähigkeiten oder das Wissen eines Bewerbers oder einer Bewerberin widerspiegeln und somit die Validität des Auswahlverfahrens gefährden.

Inhalt

Was wurde untersucht?

In dem Experiment nahmen 245 Versuchspersonen an  simulierten asynchronen Videointerviews teil. Sie wurden zufällig einer der folgenden drei Bedingungen zugeordnet, in denen sie jeweils dieselben Interviewfragen nach einer unbegrenzten Vorbereitungszeit beantworten sollten:

  • Ohne ChatGPT: Versuchspersonen antworten ohne Hilfsmittel.
  • ChatGPT-Wörtlich: Versuchspersonen lesen ChatGPT-Antworten wortwörtlich vor.
  • ChatGPT-Personalisiert: Versuchspersonen individualisieren ChatGPT-Antworten, z. B. durch eigene Angaben oder Umformulierungen.

Im Anschluss verglichen die Forscher*innen die bewertete Leistung, Qualität der Inhalte, Darbietung der Antworten und auch die Reaktionen der Versuchspersonen in den jeweiligen Bedingungen.

Die Ergebnisse: KI verbessert die Leistung, aber überzeugt nicht völlig

  • Interviewleistung: Beide ChatGPT-Bedingungen schnitten inhaltlich deutlich besser ab als die Bedingung “Ohne ChatGPT”
  • Vortragsstil (Delivery): Keine Unterschiede – mit oder ohne KI-Nutzung.
  • Ehrlichkeit: KI-Nutzer*innen wurden als deutlich unehrlicher wahrgenommen (ChatGPT-Wörtlich noch mehr als ChatGPT-Personalisiert)
  • Fairness-Empfinden: Wer ChatGPT nutzte, fand den Auswahlprozess weniger gerecht.
  • Nutzer*innenerfahrung: Die meisten fanden es positiv und hilfreich, mit ChatGPT zu arbeiten.
Das Bild zeigt fünf Balkendiagramme, die die Kategorien Interviewleistung, Vortragstil, Wahrgenommene Ehrlichkeit, Fairness Empfinden und Nutzen zwischen den Bedingungen "Mit ChatGPT" und "Ohne ChatGPT" vergleichen.

Zusammenfassend führten beide KI-Bedingungen zu deutlich höheren Gesamtbewertungen (bezogen auf Leistung und Inhalt) im Vergleich zu der Bedingung, in welcher keine KI eingesetzt wurde. Hierbei gab es keine Unterschiede zwischen den beiden KI-Bedingungen. Das deutet darauf hin, dass KI äußerst effektiv bei der Erstellung qualitativ hochwertiger Antworten ist, welche die Interviewleistung verbessern können.

Aufgrund der positiven Erfahrung bei der Nutzung von KI erhöht sich möglicherweise auch die Wahrscheinlichkeit einer zukünftigen Nutzung dieser Technologien. Interviewer*innen sind jedoch in der Lage, KI-Betrug aufzudecken, vor allem bei der wortwörtlichen Nutzung von KI-Antworten, da diese zumeist Muster aufweisen (z. B. zu Beginn der Antworten bestimmte Formulierungen wie “sicherlich” oder inkongruente Antworten, welche Konflikte über die Verteilung von Verantwortlichkeiten, Zuweisung von Ressourcen oder Herangehensweise an die Aufgabe beinhalten). Die Interviewer*innen in dieser Studie waren nicht trainiert, sodass bei zukünftigen Schulungen die Genauigkeit des Aufspürens von KI-Nutzung noch gesteigert werden kann.

Und was heißt das jetzt für die Praxis?

Die Studie zeigt: (Asynchrone) Videointerviews sind anfällig für KI-Manipulation. Wer ChatGPT nutzt, kann sich einen Vorteil verschaffen – fällt aber auch durch fehlende Ehrlichkeit auf. Besonders problematisch: Viele erkennen die Schwächen des Systems und verlieren das Vertrauen in die Fairness des Auswahlverfahrens.

Handlungsempfehlungen – wie man dagegen vorgehen kann

Um den Auswahlprozess zu schützen, sollten Organisationen asynchrone Videointerviews überdenken:

Technische und organisatorische Maßnahmen:

  • Durch Live-Formate ersetzen (z. B. synchrone Remote-Interviews oder Interviews vor Ort)
  • KI-typische Antworten vorab identifizieren (z. B. Interviewfragen mehrfach durch KI-Chatbots laufen lassen, um Muster zu erkennen) oder Erkennungstools für KI implementieren (z. B. ZeroGPT) 
  • Technische Schutzmaßnahmen einsetzen (z. B. Online-Proctoring, d. h. digitale Beaufsichtigung während der Durchführung)

Maßnahmen aufseiten der Bewerber*innen: 

  • Bewerber*innen anhalten, auf den Einsatz von KI zu verzichten
  • Minimierung der Vorbereitungszeit, sodass Bewerber*innen zeitnah nach dem Präsentieren der Frage antworten müssen

Maßnahmen aufseiten der Interviewer*innen:

  • Interviewer*innen für typische KI-Muster sensibilisieren (z. B. durch Monitoring und kontinuierliche Weiterbildungen) 
  • Interviewfragen ausschließlich in Form von aufgezeichneten Videos und nicht in Form von Text darbieten
  • Mehr verhaltensbezogene Fragen als situative Fragen einbauen, da gefälschte persönliche Geschichten leichter zu erkennen sind als gefälschte Handlungspläne oder gefälschtes (berufliches) Wissen
  • Kombination verschiedener Interviewtechniken, um die Kompetenzen der Bewerber*innen zu überprüfen und zu verifizieren

Die Ergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, Maßnahmen zur Erkennung und Verhinderung von KI-generierten Antworten zu entwickeln, um die Authentizität der Interviewprozesse zu wahren. Interviewer*innen müssen sich möglicherweise stärker auf die Darbietung und Glaubwürdigkeit der Bewerber*innen konzentrieren, um Inkonsistenzen zu erkennen und so die Zuverlässigkeit der Auswahlverfahren zu wahren.

Quelle: Canagasuriam, D. & Lukacik, E.-R. (2024). ChatGPT, can you take my job interview? Examining artificial intelligence cheating in the asynchronous video interview. International Journal of Selection and Assessment, 33, e12491. https://doi.org/10.1111/ijsa.12491

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