Mara Santidrián Korff

22 September 2022

Wie wirkt sich der Strukturierungsgrad eines Interviews auf die Qualität aus?

Das Ziel der Eignungsdiagnostik ist es, die Eignung der Kandidat*innen festzustellen. Dafür werden die individuellen Qualifikationen, Kompetenzen und Persönlichkeitsmerkmale mit den Vorstellungen der Organisation abgeglichen. Es gibt verschiedene Verfahren, die es Personaler*innen ermöglichen, diese Eignung festzustellen. Darunter zum Beispiel Persönlichkeitsfragebogen, kognitive Leistungstests, Assessment Center oder Einstellungsinterviews. Interviews sind eines der beliebtesten Instrumente in der Personalauswahl überhaupt. Fast jedes Unternehmen nutzt Interviews, oftmals sogar als einziges Personalauswahlinstrument.

Für die praktische Personalauswahl ist neben einer hohen Candidate-Experience und Effizienz vor allem die Frage nach der Vergleichbarkeit der Ergebnisse verschiedener Interview-Formen relevant. Man unterscheidet zwischen strukturierten and unstrukturierten Interviews. Wie sich der Strukturierungsgrad eines Interviews auf die Qualität auswirkt, erzählen wir Euch hier.  

Huffcutt et al. (2014) untersuchten den Strukturierungsgrad des Interviews und welche Konsequenzen sich daraus für die Vorhersagekraft von Berufserfolg ergeben. Dafür sammelten sie zahlreiche Studien und führten die zentralen Ergebnisse in ihrer Metaanalyse zusammen. 

Wie sind die Forscher vorgegangen?

Für die Untersuchung des Strukturierungsgrades erstellten Huffcutt und Kollegen ein Kategoriensystem mit vier verschiedenen Levels (1-4). Die untenstehende Tabelle verdeutlicht die Definition der Levels.

StrukturgradLevelStruktur der FragenStruktur der Antworten
unstrukturiert1keine Struktur; keine VorgabenGesamtrating wird abgegeben
2Liste mit Beispielfragen zu den HauptdimensionenEinfach dimensional (z.B. Ratingskala von 1- 5 für die Dimension)
strukturiert3Liste mit Fragen; freie Auswahl aus der Liste; Nachfragen sind erlaubtDetailliert dimensional (z.B. Verhaltensverankerte Ratingskalen)
4Alle Fragen sind vorgegeben; eingeschränktes NachfragenBewertung jeder Antwort mit Ratingskala

Das Level 1 beinhaltet den niedrigsten Strukturierungsgrad. Hier werden Kandidat*innen global bewertet, ohne auf einzelne Dimensionen oder Details einzugehen. Das zweite Level bezieht sich auf eine niedrige bis moderate Strukturierung, bei der die Hauptdimensionen (zum Beispiel Teamfähigkeit, Führungskompetenz) in einer dimensionalen Ratingskala bewertet werden (Ratingskala von 1 – 5). Diese beiden Levels gelten als unstrukturierte Interviewformen. 

Das Level 3 beinhaltet eine moderate bis hohe Strukturierung der Fragen. Diese sind in einem Fragekatalog aufgelistet und werden durch eine detaillierte Ratingskala bewertet. Dabei handelt es sich typischerweise um Ratingskalen, die das gezeigte Verhalten konkret bewerten. Zuletzt findet sich in Level 4 der höchste Strukturierungsgrad wieder. 

Hier sind die Fragen fest vorgegeben und die Bewertung der Antworten erfolgt über eine Fragen-basierte Ratingskala. Die letzten beiden Levels zählen als strukturierte Interviewformen. 

Einfach erklärt:

Mit zunehmender Strukturierung der Fragen haben die Interviewer*innen immer weniger Wahlmöglichkeiten bei den gestellten Fragen. Sie werden für alle Kandidat*innen zunehmend standardisiert, d.h. von einem Fragekatalog vorgegeben. Ebenso haben die Interviewer*innen mit zunehmender Strukturierung der Antworten immer weniger Spielraum in der Bewertung der Antworten der Kandidat*innen. Die Konsistenz der Bewertungen nimmt dementsprechend mit einer höheren Strukturierung zu. Zusätzlich weist der Inhalt der Fragen und die Bewertung der Antworten mit einer höheren Strukturierung einen höheren Berufsbezug auf, da die Auswahl der Fragen und die Konzipierung der Bewertungsskalen auf der Grundlage einer Anforderungsanalyse basiert. Die Konzipierung professioneller Interviewfragen und -kataloge übernehmen zunehmend Expert*innen. So bietet Applysia in Kooperation mit dem ROC Institute beispielsweise universelle Interviewfragekataloge an, die die Anfertigung und Durchführung von Interviews um ein Vielfaches erleichtern.

Die Auswirkung des Strukturierungsgrades auf die Validität

Welche Auswirkungen hat nun der Strukturierungsgrad des Interviews auf die Vorhersagekraft für den Berufserfolg? Huffcutt et al. zeigten: Die Qualität des Interviews steigt mit zunehmender Strukturierung! 
Wichtig ist anzumerken, dass die Forscher ebenfalls eine Art Deckeneffekt bzw. einen Rückgang fanden: Bei sehr hoher Strukturierung (Level 4) flacht der Validitäts-Zuwachs ab.

Validitäts-Zuwachs mit steigendem Strukturierungsgrad des Interviews

Was bedeutet das?

Die Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass ein Strukturierungsgrad ähnlich wie das in Level 3 am vorteilhaftesten ist, um die Eignung der Kandidat*innen im Interview bestimmen zu können. Für die Praxis bedeutet das, dass Interviewer*innen und Personaler*innen am besten fahren, wenn sie einen Fragekatalog mit festgelegten Fragen haben und sich im Interview daran halten. Dabei ist es wichtig, dass alle Kandidat*innen möglichst dieselben Fragen beantworten. Auf diese Weise wird garantiert, dass die relevanten Fachkenntnisse und Berufserfahrung erfragt und bewertet werden. Zusätzlich ist ein gewisses Maß an Handlungsspielraum in der Fragenreihenfolge vorteilhaft. Interviewer*innen können relativ flexibel zwischen den Fragen springen und einzelne Fragen auslassen, wenn es sich aus der Situation ergibt (beispielsweise wenn die Antwort einer Frage aus der Antwort zuvor hervorgeht). 
Bezüglich der Bewertungsstruktur, sollten Ratingskalen verwendet werden, die auf Verhaltensankern basieren. Verhaltensanker sind wichtig, da sie ein abstraktes und nicht beobachtbares Verhalten, wie zum Beispiel strategische Kompetenz, mit der Beschreibung von bestimmten Verhaltensweisen beobachtbar und messbar machen. Auf diese Weise könnten “Verliert sich nicht in Details” und “Äußert Überlegungen zum ’großen Ganzen’” als Verhaltensanker für die Dimension “Strategische Kompetenz” dienen. Wird das beschriebene Verhalten im Interview gezeigt, wird dieses dann auf einer Skala (z. B. von 1-5) bewertet.

Zusammenfassend lässt sich also sagen …

Eine höhere Struktur im Interview führt zu einer höheren Qualität der Ergebnisse. Dabei sollten die Fragen in einem Fragenkatalog festgehalten werden und auf einer zuvor konzipierten Anforderungsanalyse basieren. Diese Fragen werden dann allen Kandidat*innen gestellt. Dabei können einzelne Fragen übersprungen oder erneut gestellt werden, wenn die Situation es vorgibt. Die Antworten werden in Ratingskalen erfasst. Diese basieren auf Verhaltensankern und sollen Beobachter*innen helfen globale Dimensionen wie beispielsweise strategische Kompetenz, anhand konkreter Verhalten zu identifizieren. 

Interviews professionell digital gestalten

Weitere Forschungsergebnisse zeigen, dass Assessment Center (ACs) am besten für die Feststellung der Eignung von Kandidat*innen geeignet sind. Wenn Du ein qualitativ hochwertiges Assessment Center oder Interview durchführen willst und dabei nicht auf eine positive Candidate-Experience und ein modernes und remotes Arbeiten verzichten willst, dann geht’s hier zum kostenlosen Demo-Termin mit Applysia: https://applysia.de/demo/. Wir sind sowohl Spezialisten für Assessment Center, als auch für Interviews. Sprich uns einfach an! Mehr zu Applysia findest Du hier: https://applysia.de/.

Hier die offizielle Quelle

Huffcutt, A. I., Culbertson, S. S., & Weyhrauch, W. S. (2014). Moving forward indirectly: Reanalyzing the validity of employment interviews with indirect range restriction methodology. International Journal of Selection and Assessment, 22(3), 297-309. https://doi.org/10.1111/ijsa.12078

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