Mara Santidrián Korff
•14 June 2022
Verhaltensbeobachtungen und -beurteilungen für die Personalauswahl
Du musst eine vakante Position besetzen und hast dafür bereits die Einführung in die Norm für Eignungsdiagnostik und eine passende Anforderungsanalyse mit entsprechendem Anforderungsprofil angefertigt. Dafür hast du beispielsweise ein Assessment Center geplant und fünf Kandidat*innen in die engere Auswahl gezogen. Nun soll es an die Verhaltensbeobachtung und -beurteilung gehen.
Alles was Du darüber wissen musst, erfährst Du hier.
Inhalt:
- Verhaltensbeobachtungen: was ist das?
- Rahmenbedingungen für die Verhaltensbeobachtung
- Wie führe ich eine Verhaltensbeobachtung richtig durch?
- Zusammenfassung
Verhaltensbeobachtungen zählen zu einem der meistgenutzten Verfahren in der Personalauswahl. Beispiele für solche Verfahren sind Rollenspiele, Präsentationen, Diskussionen oder auch Interviews. Die DIN 33430 hat sowohl Anforderungen für Verhaltensbeobachtungen und -beurteilungen als auch für mündliche Befragungen oder Interviews formuliert. Es ist wichtig anzumerken, dass Verhaltensbeobachtungen im Rahmen eines Assessments zur Personalauswahl sehr weit von alltäglichen Verhaltensbeobachtungen entfernt liegen. Im Alltag neigen wir schnell dazu, auf Grundlage lückenhafter und weniger Beobachtungen, Menschen bestimmte Attribute zuzuschreiben. In der Personalauswahl sind messtheoretisch fundierte Verfahren geeignete Methoden, um die Kompetenzen, Eigenschaften und Merkmale von Kandidat*innen zu prüfen. Auf diese Weise kannst Du Fehlereinflüsse reduzieren und letztlich eine valide Entscheidungsfindung gewährleisten.
Definition Verhaltensbeobachtung
Die Verhaltensbeobachtung hat als Ziel innerhalb eines kontrollierten Settings, also beispielsweise im Rahmen eines Assessment Centers, das Verhalten von Kandidat*innen systematisch zu erfassen und zu analysieren. Eignungsdiagnostiker*innen und Beobachter*innen analysieren dabei die in dem Anforderungsprofil zuvor definierten Eignungsmerkmale. Für die Verhaltensbeurteilung bestimmst Du dann auf Grundlage der Beobachtung die Ausprägung der relevanten Eignungsmerkmale.
Rahmenbedingungen für die Verhaltensbeobachtung
Die Rahmenbedingungen für Verhaltensbeobachtungen fallen unterschiedlich aus. Beispielsweise kannst Du Beobachtungen frei oder gebunden gestalten. Ein systematisch-gebundenes Format ist vorteilhaft, da es eine festgelegte Umgebung vorsieht, wie beispielsweise eine bestimmte Zeit, Dauer und einen festgelegten Ort für die Beobachtung. Des Weiteren können die Beobachtungen von Kandidat*innen selbst durchgeführt werden (etwa in Form eines Tagebuchprotokolls) oder von einer fremden dritten Person (wie geschulte Expert*innen). Auch hier empfiehlt sich eher zweiteres, da Beobachter*innen und Eignungsdiagnostiker*innen die nötigen Qualifikationen besitzen, um Verhaltensbeobachtungen und -beurteilungen für die Personalauswahl durchzuführen. Außerdem können Beobachtungen indirekt oder direkt durchgeführt werden. Bei indirekten Beobachtungen wird das Verhalten durch eine Videoanalyse beurteilt. Direkte Beobachtungen erfolgen live und direkt in der Situation. Letztlich können Beobachter*innen teilnehmend oder nicht-teilnehmend sein. Das bedeutet, dass Beobachter*innen entweder aktive Akteur*innen (z.B. ein*e Akteur*in in einem Rollenspiel) oder passiv anwesend sind und an einem separaten Beobachterplatz sitzen. Es ist empfehlenswert, dass Beobachter*innen nicht direkt an den Verfahren zur Verhaltensbeobachtung teilnehmen, damit sie sich vollständig auf die Beobachtung konzentrieren können. Verhaltensbeobachtungen erfordern viel Konzentration, die nur durch die komplette Aufmerksamkeit der Beobachter*innen gewährleistet werden kann.
Wie führe ich eine Verhaltensbeobachtung richtig durch?
Hier stellen wir Dir die Schritte für die richtige Verhaltensbeobachtung und -beurteilung vor:
Schritt 1: Die Planung
Eignungsdiagnostiker*innen sind für die Festlegung eines Beobachtungssystems verantwortlich. Sie bestimmen demnach, wann und wo die Beobachtung stattfindet, welche Merkmale und Verhaltensweisen beobachtet werden und wie die Ergebnisse dokumentiert werden. Damit startet gleichzeitig die Planung der Anforderungsanalyse und die Konkretisierung der Verfahren zur Verhaltensbeobachtung.
Die DIN sieht vor, dass nur eignungsrelevante Merkmale bzw. Verhaltensweisen ausgewertet werden. Das sind all diejenigen, die zur erfolgreichen Bewältigung einer Ausbildung, eines Studiums oder eines Berufs erforderlich sind. Um diese genau beobachten zu können, müssen sie konkret beschrieben werden. Eignungsmerkmale müssen durch verhaltensnahe Schilderungen oder Beispielaussagen konkretisiert werden. Das sorgt dafür, dass die Beobachter*innen das gleiche Verständnis von den Begrifflichkeiten haben und mit einem Bezugssystem arbeiten können. Die Konkretisierung (auch Operationalisierung genannt) von Verhaltensweisen kann als Bewertungsanker verwendet und während der Beurteilung herangezogen werden.
Sind die eignungsrelevanten Merkmale und Verhaltensweisen klar definiert, müssen danach die Verfahren zur Verhaltensbeobachtungen und -beurteilung festgelegt werden. Die nachfolgende Tabelle gibt Dir einen Überblick, über mögliche Verfahren, die Du für die Verhaltensbeobachtung und -beurteilung einsetzen kannst.
Präsentation | Eine kurze Präsentation eines festgelegten Themas. |
Rollenspiel | Eine Diskussion mit einer*m nach einem Skript agierenden Rollenspieler*in, z.B. im Rahmen eines simulierten Mitarbeiter*innengesprächs. |
Gruppendiskussion | Eine Diskussion mit mehreren Kandidat*innen zu einem vorgegebenen Thema (kompetitiv oder kooperativ). |
Fallstudie | Die Lösung eines komplexen Fachproblems wird in Einzelarbeit bearbeitet und muss später gegenüber einem Gremium argumentativ vertreten werden. |
Diese Verfahren sind Simulationen. Grundidee ist, dass man spätere Tätigkeitsausschnitte so realitätsnah wie möglich nachstellt, um die Leistung der Kandidat*innen zur Bewältigung der Herausforderungen beurteilen zu können. Wichtig hierbei ist, dass alle Kandidat*innen dieselben Voraussetzungen und Anforderungen bekommen und gleich behandelt und beurteilt werden.
Beispiel Stelle Dir vor, für eine Führungsposition ist das Eignungsmerkmal “Konfliktfähigkeit” erforderlich. Du möchtest nun mittels geeigneter Verfahren prüfen, ob die Kandidat*innen dieses Merkmal aufweisen. Wie alle Eignungsmerkmale ist “Konfliktfähigkeit” nicht direkt beobachtbar. Daher musst Du eine Situation schaffen, in der Du Indikatoren für dieses Merkmal identifizieren kannst. Eine solche Situation könnte beispielsweise eine Rollensimulation sein. Die Indikatoren wären dann konkrete Verhaltensweisen wie beispielsweise “schlägt den anderen Teilnehmer*innen einen Kompromiss vor”. Die Grundidee ist, dass die Eignungsmerkmale zeitlich und situativ stabil sind, d.h. dass Du davon ausgehen kannst, dass eine Kandidat*in, die in einer Rollensimulation einen Kompromiss vorschlägt, auch in Zukunft in vergleichbaren Situationen Verhaltensweisen zeigen wird, die dem Eignungsmerkmal “Konfliktfähigkeit” entsprechen. |
Bei der Gestaltung von Verfahren zur Verhaltensbeobachtung und -beurteilung ist es wichtig, dass Du jedes Eignungsmerkmal durch mehrere Verfahren beobachten kannst. Dafür dienen “Anforderungs-Übungs-Matrizen”. Sie geben einen Überblick darüber, welche Eignungsmerkmale in welchen Verfahren beobachtet werden. Um Beobachter*innen nicht zu überfordern und die Trennschärfe der Beurteilung zu wahren, wird empfohlen nur eine begrenzte Anzahl an Merkmalen (maximal fünf) gleichzeitig zu beobachten.
Die Planung von kombinierten Verfahren mit mehreren Übungen kann sehr zeit- und arbeitsaufwändig sein. Sie stellt jedoch einen erfolgskritischen Aufwand dar, der nicht zu unterschätzen ist. Bei der Planung und Durchführung von Assessments hilft Dir Applysia. Die digitale Software ermöglicht es dir, mit geringem Aufwand und unter effizienter Arbeitsteilung, qualitativ hochwertige Assessments anzulegen, durchzuführen und im Nachhinein zu beurteilen. Mehr dazu findest du hier.
Schritt 2: Die Beobachtung
Die Beobachtung im Rahmen der Eignungsdiagnostik ist immer in geeigneter Form zu dokumentieren. Dafür kannst Du zum einen den “Ereignisstichprobenansatz” wählen, bei dem das Auftreten eines Verhaltens im gesamten Beobachtungsintervall registriert wird. Zum anderen kannst Du auch den “Zeitstichprobenansatz” wählen, bei dem der gesamte Beobachtungszeitraum (z.B. ein Rollenspiel) in Intervalle (z.B. in 2-minütige Intervalle) eingeteilt wird. Beobachter*innen beurteilen dann, ob das Verhalten in den einzelnen Intervallen gezeigt wurde. Damit kann die Häufigkeit eines Verhaltens besser registriert werden, jedoch nicht, wie häufig ein Verhalten innerhalb eines Intervalls gezeigt wurde. Am Ende des kompletten Beobachtungszeitraumes liegt eine Strichliste mit der Häufigkeit des vorgegebenen Verhaltens vor.
Grundsätzlich ist der Zeitstichprobenansatz ökonomischer und wesentlich einfacher anzuwenden. Müssen Beobachter*innen beispielsweise in einem Zeitraum von 30 min die Konfliktlösefähigkeit einer*s Kandidat*in beobachten, können sie schnell überfordert sein. Teilt man den Beobachtungszeitraum jedoch in Intervalle, sind das genaue Auftreten und die Dauer eines Verhaltens einfacher zu erfassen. Mit Applysia sind beide Ansätze möglich, da der analoge Papier- und Bleistift-Aufwand wegfällt und einzelne Verhaltensweisen direkt erfasst und mittels Verhaltensankern bewertet werden können.
Schritt 3: Die Beurteilung
Nach der Beobachtung liegen Informationen zu der Dauer und der Häufigkeit des Zielverhaltens vor. Um die Intensität der Eignungsmerkmalausprägung zu bestimmen, können die beobachteten Verhaltensanker vorab gewichtet werden. In der Literatur findet man jedoch, dass die Einheitsgewichtung (also alles gleichermaßen mit 1 zu gewichten) in fast allen Situationen gute Ergebnisse liefert. Mehr dazu findest Du hier.
Für die Beurteilung der Kandidat*innen werden dann die während der Beobachtung geschriebenen Notizen herangezogen. Um zu einem Ergebnis über die Eignung zu gelangen, vereinst Du die Notizen, die notierte Häufigkeit (“Wie viele Male hat die*der Kandidat*in sich kooperativ gezeigt?”), Dauer (“Hatte die*der Kandidat*in Momente, in denen sie*er nicht kooperativ agiert hat?”), und Intensität (“Wie stark war das Kooperationsverhalten?”). Die DIN 33430 sieht vor, dass mehrere Beobachter*innen eine Person beobachten und beurteilen. Hier ist es wichtig, dass Du die einzelnen Beobachtungen konsolidierst. Stimmen Beobachter*innenbeurteilungen häufiger und in wiederholten Assessments nicht überein, ist dies ein Indiz für notwendigen Klärungsbedarf (ggf. Überprüfung der Verhaltensanker; weiterer Schulungsbedarf).
Bei Applysia geschieht die Konsolidierung der Beobachtungen ganz einfach mit einem Klick. Die bewerteten Verhaltensanker können zu einem Gesamtwert verrechnet werden, sodass am Ende ein transparentes Ergebnis zu sehen ist. Mithilfe der Insights kannst Du bei Applysia außerdem Deine Assessments überprüfen und bei Beurteilungsdiskrepanzen rechtzeitig eingreifen und Deinen Assessment-Prozess anpassen.
Schritt 4: Integration aller Einzelurteile
Am Ende aller Verfahren gilt es, die grundlegende Frage zu beantworten: Ist die*der Kandidat*in geeignet? Generell können für die Beantwortung dieser Frage drei Entscheidungsstrategien unterschieden werden:
- Gemeinsame Urteilsfindung in einer Konferenz: Beobachter*innen diskutieren alle Kandidat*innen einzeln und kommen zu einem Konsens.
- Urteilsbildung durch Verrechnung: Die Einzelurteile werden mit Hilfe einer statistischen Funktion (Mittelwertbildung oder Linearkombination) zu einem Gesamturteil zusammengeführt. Die Einzelurteile werden nicht diskutiert.
- Gemischter Ansatz: Eine Verrechnung der Einzelurteile wird als Ausgangspunkt für eine spätere Diskussion genommen. Die statistische Verrechnung kann nach der Diskussion korrigiert werden.
Zusammenfassung
Die Verhaltensbeobachtung und -beurteilung sind eines der meistgenutzten Verfahren zur Eignungsbeurteilung, die in der Personalauswahl auf Grundlage von messtheoretisch fundierten Verfahren beruhen. Dabei solltest Du innerhalb eines kontrollierten Settings (z.B.: Assessment Center) ein Verhalten systematisch erfassen und analysieren. Die Beurteilung des Verhaltens beruht auf dem Ausprägungsgrad, der Dauer und der Häufigkeit des gezeigten Verhaltens. Bevor Du eine Beobachtung beginnen kannst, musst Du gewisse Rahmenbedingungen schaffen und definieren. Dazu gehört die Wahl zwischen einem freien oder gebundenem Format, einer Eigen- oder Fremdbeobachtung, einer direkten oder indirekten und einer teilnehmenden oder nicht-teilnehmenden Beobachtung. Die Verhaltensbeobachtung und -beurteilung lässt sich in vier Kernschritte unterteilen: die Planung, die Beobachtung, die Beurteilung und die Integration der Einzelurteile. Durch die digitale Software Applysia werden alle Schritte von der Planung bis zur Ergebnisfindung vereinfacht, effizienter und valider gestaltet, sodass transparente und datenbasierte Ergebnisse über Kandidat*innen vorliegen und die wahren Potenziale identifiziert werden können. Mehr über Applysia findest Du hier.